Jesus im Römerreich

Erich Schnepel (1893- 1986); Offizier im 1. u. 2. Weltkrieg: 1918 Missionsinspektor bei der Berliner Stadtmission; 1945 – 1955 Pfarrer in Großalmerode bei Kassel

 

Erich Schnepel: Jesus im Römerreich, S.109 - 111

„Das griechische Denken hatte auf der ganzen Linie gesiegt und den Weg der Gemeinde Jesu verdorben. Das schmerzliche Absinken des Lebens in der östlichen und westlichen Kirche war die notwendige Folge. Nur wo in den späteren Generationen bis heute dieser Einbruch des griechischen Denkens überwunden und die Kirche aus Christus selbst und nicht aus der Lehre über ihn aufgebaut wurde, gab es neues Leben und echte Gemeinde Jesu.

Darum gehört auch das berühmte Konzil von Nicäa, das Kaiser Konstantin im Jahre 325 einberief, um die gedankliche Aufspaltung der Christenheit zu überwinden, zu den schmerzlichen Erscheinungen der Geschichte der Gemeinde Jesu, denn auf diesem Konzil wurde der Sieg des griechischen Denkens offiziell in der Christenheit verankert.

Wir stehen nicht mehr bei dem schlichten Zeugnis der ersten Christen, sondern bei allem Reden von Christus steckt man doch mitten in einer Geistesrichtung, die nicht ihn selbst, sondern die eigene Gedankenarbeit über ihn zum Ausgangpunkt hat. Man ist nicht mehr der Ertrinkende, der in seiner völlig hoffnungslosen Lage vor Gott nichts weiter kann, als dafür dankbar zu sein, dass ihn die rettende hand Jesu ergriffen hat, sondern man hat in seiner gedanklichen Arbeit einen Standort über Christus, von dem aus man glaubt, die richtige philosophische Formel mit Wortbegriffen auszudrücken…

Nicht als ob die gedankliche Ausprägung der Botschaft von Christus gleichgültig wäre! Es bleibt unser Leben lang eine erste Aufgabe, darum zu ringen, dass wir das Evangelium von Jesus inhaltlich recht aussprechen können. … Die letzte Grundlage der Kirche ist nicht das, was wir über Jesus zu sagen versuchen, sondern er selbst, der lebendige Herr. Die letzte Wurzel echter Kirche ist nicht gedanklich, intellektuell verständlich darzulegen, weil sie in der verborgenen, geheimnisvollen Einwurzelung eines jeden einzelnen in Jesus selbst besteht.   

 

Wie sollte man ohne Organisation auskommen! Das ist selbst in den kleinsten Verhältnissen nicht möglich. Es kommt alles nur darauf an, dass die Organisationsformen dem eigentlichen Wesen der Gemeinde Jesu entsprechen und sich ihm so weit wie möglich nähern.

Solche Formen sind nur so weit gut, als sie das Leben der Gemeinde Jesu nicht einschnüren, sondern ihm weiten Raum machen. Sie sind nicht Selbstzweck, sondern haben die Aufgaben, für den Bau der Christusgemeinde Hilfestellung zu leisten. Das wird um so schwieriger sein, je massiver und starrer jene Organisationsformen sind. Darum ist es eine große Aufgabe, ihnen eine solch flüssige und leicht bewegliche Form zu geben, dass sie sich jederzeit den Bedürfnissen der wirklichen Gemeinde Jesu anpassen können. In der Geschichte ist es bis heute oft umgekehrt gewesen. Niemals dürfen diese Organisationen und ihre Formen heilig gesprochen werden. Sie haben nur dienende Funktionen von wechselnder Bedeutung. (S.128)

Es war auch nicht das Schlimmste, dass die Gemeinden der Christen ihre Zusammenkünfte und Feierstunden köstlich und schön ausgestalteten, wenn sie nur nicht in dieser reichen Form der Ausgestaltung Wesentliches oder gar das Leben sahen, sondern all dies wohl zu entbehren vermochten und voll Freude dasselbe Leben aus Gott gewannen, wenn sie in dem armseligsten Raum ohne jede Feierlichkeit zusammenkamen, weil sie die Wirklichkeit des Wortes Jesu erlebten: „ Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, das bin ich mitten unter ihnen. (S. 129)

 

Kirchen und andere Gebilde der Christenheit sind die organisatorisch erfassbaren Hilfskonstruktionen zum Bau der Gemeinde Jesu. Die Gemeinde Jesu selbst lässt sich in keine organisatorisch greifbare Form einspannen, obwohl sie keineswegs unsichtbar ist, sondern mit großer Kraft und Lebendigkeit in Erscheinung tritt. Ja, sie ist wirklicher, eindrücklicher, lebensvoller als jene so stark, kräftig und mächtig aussehenden organisatorischen Gebilde, die doch nur Hilfsgerüste sind, um das eigentliche Ziel Gottes, die Gemeinde Jesu, zu gestalten. Als Baugerüste für die Gemeinde des Herrn Christus haben sie ihre klare Bedeutung in den Plänen Gottes, wie z.B. beim Studium der Germanenmission sichtbar wird.

Der Weg der Gemeinde Jesu ist in der Geschichte viel schwieriger zu verfolgen als der Weg jener Hilfskonstruktionen. Sie ist nicht in Statistiken darstellbar. In manchem Jahrhundert ist nur das Amtliche und Offizielle in der Geschichte verzeichnet worden, das an den großen Baugerüsten in Erscheinung trat. Es heißt dann sorgfältig tasten und sehen, wo die Lebensspuren der Gemeinde Jesu in solchen Zeiten sichtbar werden. (s. 130)  ….

 

Diese Christusgemeinde besteht aus all denen, die mit Jesus als ihrem lebendigen Herrn in unmittelbare Lebensbeziehung gesetzt worden sind. Nie kann ein Mensch in diese Lebensbeziehung zu Jesus treten, ohne zugleich in diese organische Verbundenheit mit allen anderen gesetzt zu werden, die gleich ihm mit Jesus verbunden sind. Dort ist die Gemeinde Jesu ein wundervoller Organismus. Jesus ist das lebendige Haupt dieses Organismus.

In diesem Organismus der Christengemeinde entfaltet sich das Leben Jesu in Vergangenheit und Gegenwart. Diesen Lebensspuren des lebendigen Christus nachzugehen, war unser sonderliches Anliegen. Dieser Organismus der Gemeinde Jesu ist das neue Volk Gottes, das das eigentliche Ziel der Pläne Gottes ist. Diese Seine Schar zum Herrschaftsbereich Gottes zu machen ist die große Aufgabe de Christus. 

(S. 131)

Erich Schnepel, Jesus im Römerreich, Christliche Verlagsgesellschaft Tabor