Das tote Pferd - eine Kurzgeschichte v. Richard Schutty
Wir sind neu hier in der Stadt und müssen uns erst zurechtfinden, jetzt wohnen wir hier. Selbstverständlich suchen wir unsere Glaubensgeschwister, um Gemeinschaft mit dem Leib Jesu, der Gemeinde des lebendigen Gottes zu haben. Was wir bekommen sind Gemeindeprogramme und Veranstaltungen zu denen wir eingeladen werden.
Wo gehörst du hin, werde ich zuerst gefragt – es genügt ihnen nicht, dass ich mich zu Jesus Christus und zur Gemeinde der Stadt bekenne. Ich muss mich zu einer der 8- 10 Denominationen der Stadt bekennen, sonst habe ich keine Chance dabei zu sein. Ich werde nachdenklich – sollte tatsächlich das konfessionelle Bekenntnis wichtiger sein, als das Bekenntnis zu Jesus.
Wir entschließen uns, in den nächsten Monaten möglichst vielen Gemeinden und Kirchen in der Stadt einen Besuch abzustatten, ihren Gottesdienst am Sonntag zu besuchen – schließlich sind dort unsere Geschwister. Schon nach drei Besuchen sind wir frustriert – kaum Möglichkeit für Gemeinschaft, das Gottesdienstprogramm dominiert alles, danach gehen die Leute nach Hause. Man müsste privat eingeladen werden, denke ich, aber es kostet einen großen Aufwand, ich müsste dauernd an ihren Programmen und Veranstaltungen teilnehmen, damit ich die Leute langsam besser kennen lerne. Uff, nein das kann ich nicht mehr, das habe ich hinter mir, das brauch ich nicht mehr.
Gestern war ich bei einem Gebetsabend, eine kleine Runde. Ein straffer Ablauf, es gab viel zu beten, für Bekannte, für die Stadt, für die Politiker, für die Menschen in den Hungergebieten, für die verfolgten Christen und mehr. Eigentlich will ich doch nur Gemeinschaft mit den Geschwistern, deshalb beuge ich mich dem Programm. Ich komme mir vor wie ein Heuchler – ich fasse den Entschluss, beim nächsten Mal diese Sache zu bekennen. Vielleicht ist die beste Möglichkeit, enge Gemeinschaft zu bekommen, wenn ich um ein Seelsorgegespräch bitte.
Ich besuche einen Gottesdienst, mit allem drum und dran dauert das Programm etwa 2 Stunden. Nach der Begrüßung und einem Gebet folgen die Bekanntmachungen, die zusätzlich mit einem Beamer an eine große Leinwand projiziert werden. Man kann erkennen, es ist eine sehr aktive Gemeinde, fast an jedem Wochentag ist eine Veranstaltung: Gebetsabend, Hauskreis, Frauenabend, Pfadfinder, Jugend ….
Die Lobpreisband beginnt jetzt, sie haben viele Instrumente, man merkt sie sind eingeübt und spielen schon länger miteinander. Man spürt den Musikstücken eine gewisse Professionalität ab, die technische Ausstattung ist auf dem neusten Stand. Das Equipment und die Lobpreisgruppe steht erhöht auf einem Podest, das fast die Breite des Gottesdienstraumes ausfüllt, es erinnert an eine Konzerthalle, die mit vielen Gästen gefüllt ist. Eine gute Darbietung, ein gutes Programm denke ich, und ein dankbares Publikum, obwohl keiner klatscht. Nach etwa 8 Musikstücken folgt die Predigt, unterstützt mit Text- und Bildeinblendungen auf der Leinwand. Eine geschliffene Rede, die der Prediger größtenteils von seinem Konzept abliest. Sicher hat er lange daran gearbeitet. Dann folgt ein Aufruf zum Gebet, um Dinge vor Gott fest zu machen. Danach ein Schlusslied, bei dem die Gottesdienstbesucher in ein Körbchen Geld einwerfen. Mir kommt ein ketzerischer Gedanke: Sollte das die Bezahlung für die Darbietung sein? Nein, das kann nur ein Teil davon sein - ich weiß ja, dass die meisten Dinge, der schöne Gottesdienstraum, das Equipment, der Pastor u. a. nur bezahlt werden kann, weil es die Kirchensteuer gibt, bzw. in freien der Zehnte üblich ist. Na, dafür bekommen sie aber auch ein professionelles Gemeindeprogramm von professionellen Leuten geboten. Ist das Gemeinde, frage ich mich.
Während der ganzen Zeit hatte ich nur Gemeinschaft mit den Hinterköpfen der Personen, die vor mir sitzen. Ich vertröste mich auf den Abschluss, denn danach gibt es Kaffee und die Möglichkeit zur Gemeinschaft. Doch ich habe nur etwa 30 Minuten zur Verfügung. Mit wem soll ich sprechen – mit nur einer oder zwei Personen intensiv, oder mit möglichst vielen nur oberflächlich. Ich komme ins schwitzen, ich merke, ich will eigentlich beides und schaffe es aber nicht. Ich werde ganz konfus und bete, um eine Lösung zu finden.
Der Pastor sagte, wir haben die Möglichkeit zur Gemeinschaft in den Hauskreisen. Im Gemeindeinfo stelle ich fest, dass nur etwa ein Drittel der Gemeindeglieder zu einem Hauskreis gehen. Sollten die anderen kein Interesse an Gemeinschaft haben? Vielleicht genügt ihnen die Teilnahme am Mittwochs- und am Sonntagsprogramm.
Ich besuche einen der Hauskreise, er beginnt pünktlich um 19.30 Uhr. Nach der Begrüßung singen vier Lieder und beten dann für den Abend. Wir folgen dem von der Gemeindeleitung vorgegebenem Thema und lesen dazu einen Bibeltext. Es folgt ein Gespräch, an dem sich nur etwa ein drittel der Leute beteiligt, es wird geleitet und dominiert von dem Hauskreisleiter. Es gibt Salzstängchen, dazu Tee und Wasser.
Die Fragen im Heft werden abgearbeitet, dann folgt eine Gebetszeit betreffs der Thematik. Punkt 21 Uhr endet der Abend, ich gehe nach Hause und frage mich, kann es Gemeinde ohne Gemeinschaft geben? Wenn ja, dann ist es ein totes Pferd, auf dem immer noch geritten wird.
Richard Schutty, 24.9.2011
Weiter > |
---|